England erlebt derzeit eine nie dagewesene Kündigungswelle von Lehrern. Ihre Beschwerde: Unrealistische Lernziel-Vorgaben, endlose Überstunden, immer mehr Schüler mit Stress- und Angststörungen. Das kennen wir doch irgendwoher? Leiden die deutschen Lehrer weniger unter dem veränderten beruflichen Kosmos? Das muss man wohl eher verneinen. Dennoch wird man in Suchmaschinen bei Suchanfragen über Lehrerkündigungen in Deutschland nicht schlau. Das Thema ist geradezu tabuisiert. Nur in vereinzelten Lehrerforen liest man verzagte Anfragen zweifelnder Pädagogen, wie ein Ausscheiden aus dem Schuldienst denn überhaupt machbar sei. Die Antworten sind meistens nicht fruchtbar, denn Aussteiger halten sich im Netz sehr bedeckt und erleben in Foren nach einem „Outing“ auch gerne mal den sprichwörtlichen Shitstorm.

Was den deutschen Lehrer maßgeblich vom englischen unterscheidet ist der Beamtenstatus mit der einhergehenden sozialen Absicherung. Die gibt es in England schlichtweg nicht. Da ist der Lehrberuf ein Beruf mit Risiken wie jeder andere. Dementsprechend niedriger ist die Hemmschwelle zum Ausstieg. Überdies sind die Engländer im Vergleich zum auf Sicherheit und Beständigkeit gepolten Deutschen ohnehin flexibler, was Karrierewechsel und Veränderung angeht. Hier ist man durch sein Studium weniger auf Branchen festgelegt, Quereinsteiger werden als Gewinn betrachtet und sind überall anzutreffen.

Mit dem Leben nach dem Beamtenstatus verhält es sich in Deutschland so wie mit dem Leben nach dem Tod: man vermutet den Himmel auf der anderen Seite, doch keiner kann davon berichten. Eine Publikation des Beltz-Verlages (Lebenslang Lehrer?) ist derzeit das einzige halbwegs ernstzunehmende Sachbuch, dass Lehrer über den Ausstieg aufklärt. Das Buch erscheint zwar mit heißer Nadel gestrickt und vom Autor „zusammengegoogelt“, bedient jedoch die Interessen einer schweigenden Leserschaft im pädagogischen „Untergrund“.

Update 2018: Mangels sinnvoller und ergiebiger Lektüre zum Thema Lehrerausstieg habe ich mich selbst mit einem Fachanwalt zusammen getan und schreibe aktuell an einem Sachbuch. Du kannst dich in meinen Vertreiler eintragen, um Zugang zu Vorabkapiteln zu erhalten und über die Veröffentlichung informiert zu werden.

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Unzufriedene Beamte? Kann es so etwas überhaupt geben? Ist man im sicheren Hafen der Verbeamtung nicht da angekommen, wohin sich die Angestellten und Selbständigen in der freien Wirtschaft sehnen? Gesicherter Job, gesicherte Weiterbeschäftigung nach familiärer Auszeit, das Gehalt erlaubt keine großen Sprünge, ist aber auf die Dauer akzeptabel, zahlreiche Urlaubstage, gesicherte Pension. Besser gehts doch kaum.
Aber was hilft es, wenn der berufliche Alltag dauerhaft krankmachenden Stress beschert? Wenn sich das Gefühl breit macht, man sitze in einem Schiff, dass auf einen Wasserfall zusteuert und man selbst ist dazu gezwungen, noch zusätzlich in diese Richtung zu rudern? Der Beamtenstatus bewahrt Bund und Länder also maßgeblich vor der Quittung verkorkster Bildungspolitik. Hier überlegt man es sich zehn mal, bevor man das Handtuch wirft denn bei Ausscheiden aus dem Dienst drohen unverhältnismäßig hohe Alterseinbußen. Die Armut auf die alten Tage ist somit vorprogrammiert, wenn nicht anderweitig vorgesorgt wurde. Da bleibt man doch lieber im Dienst und trägt das krankende System mit. Innere Kündigung, halbherziger Einsatz, Depressionen und Burnout sind die Folgen.

Den Beamtenstatus abschaffen? Eine schwierige Frage, denn für Viele ist das ein wesentlicher Attraktivitäts-Aspekt des Lehrberufs. Und fähige Lehrer, da sind sich alle einig, müssen her und in diesem Beruf gehalten werden. Da muss sich Vater Staat jedoch langsam etwas Besseres ausdenken als Knebelverträge auf Lebenszeit.

Leseempfehlung (aus dem englischen Guardian): http://www.theguardian.com/education/2014/mar/14/teachers-life-inside-the-exam-factory?CMP=fb_gu#

Mehr über die Lehrerbelastung in England schreibe ich hier: Englische Grundschullehrer arbeiten laut neuer Studie 60 Wochenstunden