Heute feiere ich den 4. Monatstag seit meinem Schulausstieg zum 1. Mai 2015!

Seit dem haben sich die Ereignisse für mich überschlagen, ich habe von zahlreichen (auch unerwarteten) Personen positives Feedback zu meiner Entscheidung bekommen und bin nach wie vor dabei, mir den Weg “zurück ins Leben” zu bahnen. (Hobbies, Sport und Zeit für mich? Das gab es seit Jahren nicht mehr in dem Umfang…)

Der 1. Mai (Ironie des Schicksals: Tag der Arbeit 😛 ) wird wohl in Zukunft ein kleiner zweiter Geburtstag für mich.

Auf meinem Blog haben mich viele Ähnlichdenkende angeschrieben, die an verschiedenen Punkten ihrer Ausstiegsüberlegungen stehen. Ich freue mich, wenn ich dazu beitragen kann, dem einen oder anderen das Gefühl von etwas mehr Orientierung, Bestätigung oder überhaupt “Wiedererkennen” und “Sich verstanden fühlen” zu geben. Oft wurde mir die Frage gestellt, was ich denn eigentlich jetzt mache. Ich hätte jetzt gerne DEN Tipp, der für jeden Lehrer als ultimative Ausstiegsmöglichkeit passt, leider ist das wohl in jedem Fall eine hoch individuelle Herausforderung.

Etwa 4-5 Jahre lang habe ich schon nach Alternativen gesucht (also kurz nach dem Referendariat schon damit begonnen). Nebenberufliche Weiterbildung oder Studium wären in Frage gekommen, bei genauerer Betrachtung der Details aber doch wieder nicht… Im Endeffekt hat es zu meinem Ausstieg der Unterstützung meiner ganzen Familie bedurft. Ohne meine Eltern und meinen Partner hätte ich den Schritt schlichtweg nicht realisieren können.

Mein jetziges Tätigkeitsmodell hat zwei Komponenten, nämlich zum Einen den Einstieg in das seit 8 Jahren bestehende Unternehmen meines Partners, zum Anderen noch eine freiberufliche Tätigkeit als Kleinunternehmer nebenher.

Jetzt bin ich also freiberuflich selbständig und könnte jeden Tag eine Flasche Schampus knallen lassen vor Freude über diese Entscheidung. Ich arbeite viel und trage nach wie vor Verantwortung – jetzt eben für ein Unternehmen – doch die Arbeit, die ich jetzt mache, ist für mich von ihrer Intensität her überhaupt nicht mit der totalen Zermürbung des Lehrerberufs vergleichbar.

Im Grunde fühlt es sich für mich kaum an, als ob ich wirklich arbeite… denn bisher habe ich Arbeit (speziell: Gymnasium im bildungspolitischen Katastrophenland NRW!) als etwas erfahren, das per Definitionem gekennzeichnet war durch:

  • chronischen Dauerstress
  • Arbeit unter permanentem Zeitdruck
  • lückenlose Musterung und schonungslose Bewertung der eigenen Persönlichkeit
  • Angst vor Versagen, Angriffen auf die eigene Person, rechtliche Anfechtbarkeit
  • Lärmpegel: Düsenjetstart – moderne Lernmethoden sei Dank!
  • Einschüchterungsversuche von Vorgesetzten und Eltern
  • strategisches Kaltstellen und Isolieren von Kollegen mit “abweichender” Meinung durch Vorgesetzte
  • sklavisches Paragraphengereite
  • Entmündigung, Infantilisierung, Bevormundung “von Oben”
  • regelmäßige Nacht- und Wochenendschichten
  • Dauer-Nervfaktor neue Medien: Beamer kaputt, Server streikt, externe Boxen weg, falsches Kabel, Fernbedienung kaputt, Steckdose tot – im 45 Minutentakt
  • dauerhaftes Überschreiten der körperlichen Grenzen
  • Zwangsignorieren aller körperlichen Warnsignale und sukzessive einsetzender Gebrechen
  • Funktionieren müssen ohne Wenn und Aber. Lehrer = Roboter
  • keine Einspruchsmöglichkeit oder Streikrecht
  • sehr beschränkte Möglichkeiten, skandalöses Vorgehen der Vorgesetzten publik zu machen (Loyalitäts-Eid / Verbeamtung)
  • Ausführen permanent neuer und fragwürdiger Vorgaben, die mit dem eigenen Wertesystem und beruflichen Idealen nichts gemeinsam haben.


All das habe ich in meiner jetzigen Tätigkeit nicht mehr und genieße meine neue Freiheit in vollen Zügen. Fühlt sich rückblickend an wie ein jahrelanger, surrealer Horrortrip.

Dabei habe ich meine Rolle als “Geburtshelfer” für die Persönlichkeiten von Kindern und Jugendlichen sehr gerne erfüllt. Jungen Menschen die Welt zu eröffnen, sie neugierig zu machen, zum Nachdenken anzuregen, sie zum Hinterfragen allgemeiner Werte zu provozieren – das ist toll! Aber nicht in diesem System aus Angst, Stress und Menschenfeindschaft. Auch nicht angesichts der quantitativ und qualitativ zunehmenden Verhaltensauffälligkeiten von ELTERN! (Die Kinder sind in den meisten Fällen weitaus angenehmer ;-P)

Mir fehlen viele meiner Schüler und Kollegen. Auch gab es selbstverständlich sehr nette Eltern. Berührt hat mich, mit welchen Worten ich von einem Schülervater (sein Sohn ist jetzt in der 10, ich war von Klasse 5-7 Klassenlehrerin) über ein soziales Netzwerk angeschrieben wurde:

Schön zu hören, dass es ihnen gutgeht. Ja, habe das mit dem Ausstieg habe ich schon alles mitbekommen (…) in der Schule gab es schon ein großes Hallo deswegen, das haben eine Menge Eltern mitbekommen. Finde es super, dass sie ihrem Bauch folgen (…) und nicht dem vermeintlich sicheren Weg. Wir – meine Frau und ich – haben immer gedacht, sie sind zu gut für das Schulleben… Auf der anderen Seite gibt es viel zu wenig von Ihrer Art an den Schulen.

Einige ähnliche Kommentare erhielt ich auch von Eltern meiner aktuellen Klasse.

Ich wünschte für uns alle, dass es anders liefe an unseren Schulen. Was für ein Schlamassel…




Nachtrag:

Dieser Artikel wurde in den ersten Stunden nach Veröffentlichung über 3000 mal aufgerufen und es gab viele Reaktionen dazu. Darunter auch einige Nachfragen, auf die ich hiermit antworte, sofern nicht schon persönlich geschehen.

Ich schreibe hier selbstverständlich von meinen eigenen Erfahrungen und Empfindungen und erhebe keinen Anspruch darauf, die universelle und einzig wahre Meinung über Schule und den Lehrerberuf zu vertreten. Auch möchte ich niemanden verschüchtern, der noch am Anfang steht. Das Schulsystem, die Schulform, die individuelle Schule, Einzugsgebiet der Schule, Zusammensetzung des Kollegiums, die Schulleitung, gesellschaftliche Veränderungen und nicht zuletzt natürlich die eigene Persönlichkeit und Veranlagungen – all das spielte in meine Entscheidung zum Ausstieg mit hinein.

Ich behaupte auch nicht, dass andere Jobs nicht auch ähnliche Züge haben können. Es gibt wahnsinnig viele bescheidene Jobs da draußen und natürlich auch solche, die in eine ganz andere Kategorie von schlechten Bedingungen fallen. Vollkommen klar!

Natürlich gibt es angesichts meiner subjektiven Schilderungen viele Lehrer, die die Dinge nicht, oder nur in Teilen so sehen wie ich. Das ist ja auch sehr beruhigend! Dann halten weiter noch Leute mit Herzblut die Fahne an den Schulen hoch! Ich bin voller Bewunderung für manche unermüdlichen, inspirierenden Kollegen, und dankbar, dass sie für so viele Heranwachsende weiter Sinn stiften.

Auch wurde ich von einer befreundeten Lehrerin zu meinem Blog gefragt “Wo sind die positiven Aspekte des Lehrer-Jobs? Wo ist der Spaß mit den Kindern? Wo die tollen Gespräche mit Kollegen? Wo die Motivation und Belohnung, wenn mal eine Stunde richtig gut klappt?” Dazu muss ich antworten: Klar gibt es all das! Sogar recht häufig und auch ich habe das oft genossen.

Doch ich hatte stets das Gefühl, dass all diese positiven Aspekte von Schule TROTZ der Umstände stattfinden und nicht WEGEN der Umstände. Mit meinen Kollegen und Schülern fühlte ich mich oft wie in einem fraternisierenden Bündnis GEGEN die Umstände. Viele nette Momente entstanden gerade dadurch, dass man das Gefühl hatte, gegen das System zusammen halten zu müssen. Wenn positive Momente auf dieser Basis beruhen, kann ich sie für mich nicht wirklich als positiv werten, auch wenn es schöne Erlebnisse sind.

Kontinuierlich erhalte ich Zuschriften von Referendaren und Lehrern, die sich sehr mit meinen Worten identifizieren und erleichtert sind, dass sie mit ihren Missempfindungen nicht alleine da stehen. Schlimm genug, dass mir so viele Lehrer zustimmen und selbst keine Möglichkeit sehen, die Situation für sich zu verändern.

Als Lehrer darüber zu sprechen, dass man im Beruf unglücklich ist, dass eben nicht alles gut läuft, nicht alle nett und umgänglich sind, und dass es vielleicht gar nicht erstrebenswert ist, diesen Beruf bei allen Sicherheiten für immer auszuüben, ist immer noch ein großes Tabu. Vielleicht wird es durch mein Blog ein bisschen weniger angsteinflößend.


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