„Kein Wunder, dass Konstantin so ein schlechtes Zeugnis hat, er ist ja auch hochbegabt!“

Längst ist die elterliche Annahme, ihr Kind sei hochbegabt, schon zum humoristischen Gemeinplatz avanciert. Dies kommt nicht von ungefähr, begegnet man doch als Lehrer früher oder später Eltern, die genau dies für ihr Kind beanspruchen.

Dazu kann ich mir das Einbinden eines Cartoons von Hauck&Bauer nicht verkneifen 😉
Hier zum Cartoon von Hauck & Bauer.

Die pädagogische Einschätzung, ob an einer überdurchschnittlichen Begabung tatsächlich etwas dran ist, fällt allerdings bisweilen schwer. Denn wenn man sich nicht gerade zielgerichtet für die Erkennung und dem Umgang mit Hochbegabten fortgebildet hat, ist das zunächst einmal ein dunkler Raum.


Was ist das eigentlich, Hochbegabung?

Klassischerweise spricht man bei einem Intelligenzquozienten ab 130 von Hochbegabung. Das heißt jedoch nicht, dass ein Kind mit einem IQ von 129 nicht in diese Gruppe fällt, vielmehr handelt es sich hier um einen sehr individuellen und auch zeitlich veränderbaren Richtwert.


In einigen Fällen zeigt sich eine Hochbegabung schön im Kleinkindalter durch folgende Verhaltensweisen:

– das Überspringen von Entwicklungsphasen (z.B. frühes Laufen ohne vorheriges Krabbeln)
– frühe Augen-Hand-Koordination
– frühes Sprechen in Kombination mit einem großen Wortschatz und ganzen Sätzen
– frühes Interesse an Zahlen, Buchstaben, Symbolen und Zeichen
– autodidaktisches Erlernen von Rechnen, Schreiben oder Lesen (Quelle)

Die Eltern-Beraterin Andrea Steinforth von der Deutschen Gesellschaft für das hochbegabte Kind (Hier zur DGhK Homepage) beschreibt den Unterschied zwischen einem cleveren und einem hochbegabten Kind in der Art der Fragestellungen des Kindes. So seien die Fragen von Hochbegabten eher systemisch als konkret angelegt. Als Beispiel nennt sie die Frage eines Dreijährigen: „Gibt es genug zu essen für alle Kinder auf der Erde?“

Wenn die Begabung schon frühzeitig erkannt wurde und somit eine Förderung außerhalb der Schule und auch innerhalb in Form von Drehtürmodellen, Klassenübersprung, Hochbegabtenklassen usw. beginnen konnte, haben Gymnasiallehrer mit der Diagnostik einer Hochbegabung nicht mehr viel zu tun. In diesem Fall ist es bereits Herausforderung genug, hochbegabte Kinder zielgerichtet zu fördern und sie zu motivieren.


Was aber, wenn eine Hochbegabung nicht entdeckt wird?

Hochbegabte Kinder kommen im Regelschulwesen schließlich all zu oft eben nicht so eindeutig begabt, angepasst, organisiert und motiviert rüber. Denn die ständige Unterforderung hat oft zur Folge, dass vordergründig „störende“ Verhaltensweisen ausgebaut werden und das zielgerichtete Lernen eigentlich nie erlernt wird. Auch summieren sich an den weiterführenden Schulen die Wissenslücken, da schlichtweg abgeschaltet wird und das Unterrichtswissen dann weder mündlich noch schriftlich reproduziert werden kann. Zudem fehlt es Hochbegabten oft an grundlegenden Strategien zur Selbstorganisation. Kinderzimmer und Ranzen sind ein einziges Chaos und alles Organisatorische (Mappen- und Heftführung, Hausaufgaben, Elternunterschriften etc. wird verschlampt.


Diese Kinder werden oft mit Ferraris ohne Bodenhaftung beschrieben. Sie haben viele P.S. unter der Haube aber können sie nicht auf die Straße bringen.

Als Begleiterscheinung zeigen sich auf der Ebene der sozialen Interaktion mit Mitschülern und Lehrern in der Regel Auffälligkeiten, die nicht auf eine besondere Begabung des Kindes schließen lassen:

– die vielen Fragen hochbegabter Kinder führen dazu, dass diese als „Quälgeister” gesehen werden
– die unkonventionellen und originellen Lösungen hochbegabter Kinder werden als problemhaft angesehen
– hochbegabte Kinder fühlen sich im Spiel mit anderen Kindern mangels adäquater Anforderungen oft unterfordert, sie ziehen sich zurück und scheinen, „nicht in die Gruppe zu passen”
– hochbegabte Kinder suchen oft das Gespräch mit Erwachsenen – und werden rasch als „sozial unreif” eingestuft.
– sie können bereits früh Konfliktspiralen durchschauen und ziehen sich deshalb zurück, bevor es zu körperlichen Auseinandersetzungen kommt – oft ein Grund, warum sie als „wenig durchsetzungsfähig” charakterisiert werden (Quelle)

Das führt vor allem zu Frust. Frust beim Schüler, der viele negative Rückmeldungen einstecken muss, das Selbstvertrauen verliert, geistig unterfordert ist und aufgrund seiner fortgeschrittenen Reife oder Andersartigkeit den sozialen Anschluss nicht bekommt.

Frust bei den Eltern, die sich das schlechte schulische Abschneiden ihres Kindes zu erklären versuchen, auf Konfrontationskurs mit Lehrern und Kinderärzten gehen, und bei anderen Eltern auf Unverständnis stoßen.

Und Frust bei Lehrern, die permanent das Gefühl haben, dem Kind nicht gerecht zu werden, Unterrichtsstörungen unterbinden wollen, teilweise mit sehr aufgebrachten Eltern umgehen müssen, Grundschulgutachten hinterfragen, sich nicht zuständig fühlen und für eine Diagnostik nicht qualifiziert sind.

Ein trauriges Bermudadreieck von Emotionen, die es zu entwirren gilt, um nach einer fundierten Diagnostik sinnvolle Fördermaßnahmen veranlassen zu können.


Die schlechte Nachricht dabei: wird eine Hochbegabung nicht rechtzeitig erkannt und gefördert, so kann sie sich zurück entwickeln.

Hier denken wir an den eingangs erwähnten Konstantin zurück. Wie kann differenziert werden, ob sein schlechtes Zeugnis nun eher ein Zeichen für mangelnde Begabung oder durchschnittliche Begabung bei fehlender Motivation oder sonstigen ungünstigen Begleitumständen ist, oder ob eine Hochbegabung vorliegt?


Hier können nur standardisierte Tests Aufschluss geben, die von Kinderpsychologen oder anderen qualifizierten Diagnostik-Zentren durchgeführt werden.

Insgesamt ist jedoch zu betonen, dass trotz der wachsenden Präsenz des Themas in den Medien, die Anzahl tatsächlich hochbegabter Kinder über die Jahre nicht gewachsen ist. Die Nachfrage nach Diagnostik in dieser Richtung hat sich jedoch sprunghaft erhöht. Eine treffende Erklärung dazu bietet Andrea Steinforth von der Deutschen Gesellschaft für das hochbegabte Kind:

„Ich vermute, dass es (der Anstieg der Hochbegabten-Diagnostik) daher kommt, dass viele Eltern in dieser leistungsorientierten Gesellschaft Hochbegabung mit Hochleistung verknüpfen und sich vielleicht deshalb wünschen, dass es so ist.“ (Quelle: ZDF Interview)

Eben dieser Wunsch ist es, der durch zahlreiche Witze über ehrgeizige Eltern auf’s Korn genommen wird. Ein Symptom der Leistungsgesellschaft und der Panikmache, denen Eltern ausgesetzt sind. Denn wer möchte sich heute noch vorwerfen lassen, seinem Kind nicht alle Möglichkeiten und alle Aufmerksamkeit zukommen zu lassen?

Doch auch bei Lehrern besteht ein Fortbildungsbedarf in diesem Bereich. Auch wenn die Diagnostik definitiv außerschulisch ihrenPlatz hat, so muss doch das Auge für Hochbegabung geschult werden und praktische Handreichungen für die Förderung der betreffenden Schüler gegeben werden.

Es gilt, die Tragik des verkannten Genies zu vermeiden, sich dabei jedoch von subjektiven Eindrücken und Wünschen frei zu machen. Hoffen wir das Beste für Konstantin.