„Ich bin schon seit 25 Jahren im Schuldienst und jetzt geht es einfach nicht mehr. Aber kann ich mir jetzt überhaupt die Kündigung als Lehrer/in noch leisten? Wenn man Mitte 30 ist – ok – aber ich bin Anfang 50.“ Eine vollkommen berechtige Frage, der ich mich mit gebührender Differenzierung nähern möchte. Wenn dir an anderer Stelle ein Coach die Botschaft verkauft: „Klar, Kündigung als Lehrer ist immer möglich! Verändere dein Denken, dann strahlt dir nach dem Ausstieg die Sonne aus dem Hintern!“, dann sollten bei dir die Alarmglocken angehen. Ich möchte dir in diesem Artikel einige handfeste Kriterien vorstellen, die ich einmal in den Ring schmeißen möchte, um dir Futter für deine Entscheidungsfindung zu geben, ob eine Kündigung als LehrerIn für dich (noch) sinnvoll ist.


Die Kündigung als Lehrer ist NICHT pauschales Mittel der Wahl. Zu viele Kriterien spielen mit.

Über Kündigung denkt man nicht nach, wenn es einem gut geht, so viel ist klar. Bei vielen von uns Lehrern ist der Leidensdruck und Frust hoch. Oft ist es eine akute Krisensituation, die die Ausstiegsgedanken konkret werden lässt: Eine Krankschreibung wegen Burnout, wiederholter Ausfall wegen Krankheit, die Vorgesetzten gehen mit der Situation unfairer um, man fühlt sich überfordert, wird fachfremd eingesetzt, an eine andere Schulform abgeordnet. Die Liste der Gründe, warum man als LehrerIn zu dem Schluss kommt „Bis hierhin und nicht weiter“, ist lang. Doch nach vielen Dienstjahren schmeißt man nicht „einfach“ hin. Zu viel hängt dran.

Und doch ist da das Gefühl, dass es einfach nicht sein kann, dass man sich jetzt noch 15 Jahre oder mehr zum Ruhestand durchhangelt. Wer will schon zu den Kollegen gehören, die sich immer nur vorrechnen, wie lange sie „noch müssen“. Und dann die Frage: SCHAFFT man diese Zeit überhaupt noch, ohne gänzlich vor die Hunde zu gehen?  Pension ist schließlich nicht alles im Leben. Wer weiß, ob wir überhaupt noch in den Genuss eines langen Lebensabends kommen. Will man da nicht lieber JETZT GUT LEBEN und einen Sicherheitsverlust in Kauf nehmen? Aber kann man sich das leisten?


Je größer die Anzahl an Dienstjahren, desto größer das Dilemma beim Lehrerausstieg. 

 Zunächst möchte ich aber einige statistische Werte voran schicken, anhand derer du schon einmal einschätzen grob kannst, wie DIE ANDEREN es so machen mit dem Ausstieg, was nicht heißen musst, dass dies dich daran hindern sollte, die Dinge anders zu machen:

Fakt 1: Die meisten Lehreraussteiger kündigen innerhalb ihrer ersten 10 Berufsjahre (Quelle). In diese Kategorie falle ich übrigens selbst. Ich habe nach dem Ref. noch 5 Jahre mitgemacht, in denen ich jedoch bereits explizit nach Alternativen suchte. Dennoch zeigt die Struktur meiner KlientInnen ein anderes Bild. Etwa 50% haben weniger als 10 Dienstjahre, und die andere Hälfte mehr, teilweise auch deutlich mehr geleistet.

Fakt 2: Das Durchschnittsalter aller neuen Pensionäre im Lehrberuf im Jahr 2017 (also inklusive der Frühpensionäre und Dienstunfähigen) beträgt derzeit 63,5 Jahre. Das Durchschnittsalter aller dienstunfähigen Lehrkräfte der letzten Jahre liegt recht konstant bei 57 Lebensjahren. Laut Bericht des statistischen Bundesamts vom Dezember 2018 haben im Jahr 2017 gerade einmal 24,6% aller neu pensionierten Lehrkräfte die sogenannte „Regelaltersgrenze“, also das gesetzlich vorgesehene Pensionsalter, erreicht. Das Gros von 63,1% ging in Frühpension und 12 weitere Prozent schieden durch Dienstunfähigkeit aus. Mit anderen Worten: Aktuell übt nicht mal ein Viertel aller verbeamteten Lehrer ihren Beruf bis zum gesetzlich vorgesehenen Pensionsalter aus (Quelle: Statistisches Bundesamt)

Mit anderen Worten: Wenn LehrerInnen kündigen, dann eher früh. Mit wachsenden Dienstjahren wird eher die Dienstunfähigkeit oder Frühpension „interessant“, denn hier bleibt ein Versorgungsanspruch durch das Land bestehen. Ob dieser tatsächlich so hoch ist, dass die Kosten-Nutzen-Rechnung aufgeht (meine Gesundheit und Lebenszufriedenheit im Jetzt gegen eine spätere Pension), das ist sehr individuell am Arbeitsumfang festzumachen. DENN: 

Fakt 3: 70% aller Lehrkräfte an allen Schulformen deutschlandweit sind Frauen. Davon arbeiten die meisten in Teilzeit. (Quelle: Statistisches Bundesamt) Die glorreiche, satte Pension, von der wir gerne phantasieren, bezieht sich auf eine 35-40jährige Dienstlaufbahn in Vollzeit.


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Diese Punkte erhöhen das Risiko für einen Lehrerausstieg mit vielen Dienstjahren und sprechen daher eher dagegen:

Ich möchte dir hier einige Punkte (ohne Anspruch auf Vollständigkeit) nennen, die m. E. zwar nicht grundlegend gegen einen späten Ausstieg sprechen, aber denen man proaktiv und aufgeklärt entgegentreten sollte, denn sie bedeuten natürlich ein Risiko:

  • Bei Kündigung: Verlust des lebenslangen Versorgungsanspruches durch den Dienstherren in Form von (Früh)pension und Beihilfe. Ergo: Du verlierst den Anspruch auf eine Pension, auch wenn diese möglicherweise klein ist. Überdies dämpfte der Beihilfeanspruch deine Kosten für die private Krankenversicherung, die du je nach Sozialversicherungsstatus nach dem Ausstieg zu 100% tragen musst. Arbeitest du nach Ausscheiden als Angestellte, so kannst du noch in die gesetzliche KV wechseln, allerdings nur bis 55 Jahre. Danach ist es so gut wie unmöglich, aus der Privaten raus zu kommen.
  • Bei Ausstieg ist das gängige Prozedere die Nachversicherung bei der deutschen Rentenversicherung. Der aus der Nachversicherung erwachsende Rentenanspruch liegt bei etwa 50 % der Summe, die als Pension zu erwarten gewesen wäre. Du kannst es dir so vorstellen, als würde der betriebliche Teil der Altersvorsorge wegfallen. Ausnahme: Du arbeitest in einem der wenigen Bundesländer, die ein Altersgeld gewähren. Hierbei bleibt dir dein aktueller angesparter Pensionsanspruch fast gänzlich erhalten. Voraussetzung: Du beantragst das Altersgeld vor der Kündigung explizit. Es weist dich nämlich niemand auf deinen Anspruch hin und er verfällt mit der Nachversicherung unwiederbringlich!
  • Wenn du viele Jahre in Teilzeit gearbeitet, und einige Jahre vielleicht sogar ganz ausgesetzt hast, z.B. wegen Mutterschaft und Kindererziehung, so hast du über längere Zeit keine oder nur anteilig Pensionspunkte angespart. Deine Pension fällt entsprechend kleiner aus. Je nach individueller Lage KANN das noch genug für einen tolerablen Lebensstil im Alter sein, muss aber nicht. Wahrscheinlich ist jedoch: Steigst du mit vielen Dienstjahren auf dem Buckel aus, die du vorwiegend NICHT in Vollzeit gearbeitet hast, dann wird die Nachversicherung da stehen lassen wie die allermeisten westdeutschen Frauen im Rentenalter: mit einem Rentenanspruch unter 800,-€. (Quelle
  • Als Lehrer verdient man gut. Das ist so. Vergleichbar gut ausgebildete Akademiker verdienen im Schnitt gleich viel oder weniger. Es sei denn, sie sind Physiker, Chemiker oder Informatiker, dann haben sie eine Chance auf deutlich höhere Gehälter. Insbesondere in Teilzeit verdient man aber fast nirgendwo so gut wie als Lehrer/in. (Quelle)


Diese Punkte sprechen für einen Ausstieg, trotz erhöhtem Risiko:

  • Der Ausstieg ist immer ein Abwägen zwischen deinem Leidensdruck und der finanziellen Machbarkeit, den Ausstieg zu kompensieren. Fragen wie „Was soll ich denn danach arbeiten“ haben natürlich ihre Berechtigung, aber m. E. werden sie zu hoch gehängt. Ich behaupte einfach mal, dass du als hervorragend ausgebildete, berufserfahrene akademische Fachkraft, die du bist (!) etwas findest. Und wen du danach übergangsweise einer Arbeit nachgehst, für die du völlig überqualifiziert bist – wäre das so schlimm, wenn es dir damit besser geht und du nach und nach wieder zur alten Form aufläufst? Wenn du das Gefühl hast, dass es die schulische Situation ist, die dich krank macht, und du keinen Tag länger in deinem Leben mehr in Abhängigkeit der Schulbehörden stehen möchtest, dann spricht das für mich eine deutliche Sprache. Wichtig dabei ist jedoch: Ist deine Erwerbsfähigkeit durch deine aktuelle Gesundheitssituation gemindert und wird voraussichtlich  dauerhaft gemindert bleiben? In dem Fall muss ich dir doch dazu raten, intensiv zu überprüfen, ob eine Dienstunfähigkeit oder sonstige „systemimmanente“ Wege in Frage kommen.
  • Doch bedenke bitte: Auch als Dienstunfähiger oder Frühpensionär bist du noch „im System“ und damit dem Land Rechenschaft schuldig über Nebentätigkeiten und etwaige andere Einkünfte. Auch nach der Schule musst du also um Erlaubnis bitten, Einkünfte offenlegen und darfst die knappen Höchstgrenzen nicht überschreiten. Da du als Frühpensionär starke Abzüge bei deiner Pension in Kauf nehmen musst, solltest du im Auge behalten, dass es dir gar nicht so leicht gemacht wird, anderweitig für ein nennenswertes Zubrot zu sorgen.
  •  Falls du ein Ausscheiden wegen Dienstunfähigkeit für dich in Betracht ziehst, dann musst du dir darüber im Klaren sein, dass das Prozedere unter Umständen hässlich und stressig werden kann. Wer streitet schon gerne rechtlich darüber, was genau er noch kann oder nicht mehr kann und aus welchem Grund? Es gibt sicherlich Umstände, da ist die Dienstunfähigkeit eine recht klare Sache. Insbesondere wenn es um psychische Leiden geht, gibt es jedoch viel Spielraum zu verschiedenen Bewertungen. Ich habe KlientInnen, die sehen sich für eine möglicherweise bevorstehende  Schlammschlacht um die Dienstunfähigkeit nicht aus und kündigen allein deswegen, um schnellstmöglich ein neues Kapitel aufschlagen zu können. „Ich will doch nur frei sein.“ Schade, dass man dafür so viel Federn lassen muss.
  • Die Ausstiegsfrage als LehrerIn ist IMMER eine primäre Frage des Geldes. Wir haben verständlicherweise Berührungsängste, unsere Rücklagen anzutasten. Schließlich sind sie für dringende Anlässe. Aber WANN bitte ist ein dringender Anlass, wenn nicht bei Ausstieg aus dem Beamtentum? Überlege bitte, ob du es dir leisten kannst, vorübergehend deine Einkommenseinbußen durch Rücklagen aufzustocken, oder hier und da Abstriche in den Ausgaben zu machen. Vielleicht könntest du auf diese Weise ein Jahr überbrücken, vielleicht sogar länger, bevor wieder ausreichend Geld reinkommt. Wenn du über die Jahre einiges zurücklegen konntest, vielleicht eine Immobilie besitzt, geerbt hast oder noch einen Geldsegen zu erwarten hast, wenn du in einer stabilen Partnerschaft lebst, in der ihr gemeinsam wirtschaftet, wenn dein Partner ausreichend verdient, dass ihr euch übergangsweise oder auch dauerhaft eine Einkommensminderung  leisten könnt, dann sind das Sicherheiten, die dein Ausstiegsrisiko abmildern. (Natürlich ist es nie ein guter Tipp, sich dauerhaft monetär von seinem Partner abhängig zu machen. Aber: Let’s face it, Beziehungen laufen meist nicht so, dass beide vollkommen getrennt wirtschaften. Vielleicht müssen wir diese Abhängigkeit vorübergehend eingehen. Und vielleicht ist das ja auch in Ordnung und wir verraten damit nicht unsere Gleichstellungsideale, sondern sehen die Beziehung einfach auch als die Krisenabsicherung an, die sie sein sollte…)


Das kannst du konkret tun, um deine Kündigung als LehrerIn abzuwägen:

  • Schaffe dir selbst Klarheit darüber, was du zum Leben brauchst. Was kommt derzeit rein und wo geht es hin? Hast du Schulden, laufen Kredite oder ähnliches, die du bedienen musst? Wenn du in einer Partnerschaft lebst, besprecht das beide und fertigt eine tabellarische Übersicht an. Wie weit ist die „finanzielle Reichweite“, also die maximale Zeit, die du ohne Gehalt auskommst? Wo könnte man einsparen und trotzdem noch gut leben?
  • Lasse dir von deinem Landesamt für Besoldung und Versorgung einen Auszug über deinen aktuellen Pensionsanspruch machen. Ich wäre selbst nicht drauf gekommen, doch eine Klientin von mir hat das gemacht und es geht. Hat zwar einige Monate gebraucht, aber dann kam der Schrieb ins Haus. Wenn du weist, was die monetär an Pension erwartet, siehst du klarer. Mit der Nachversicherung bleiben dir etwa 50% von diesem Anspruch erhalten. 


Weitere Tipps erhältst du in meinem Buch zum Lehrerausstieg, das im September 2019 erschienen ist und das ich im Oktober bereits auf der Frankfurter Buchmesse vorstellen durfte. Mehr dazu kannst du hier lesen.