Als Lehrer hochsensibel, Scanner oder hochbegabt? Ein Erklärungsansatz für deine berufliche Unzufriedenheit? Dann ginge es dir, wie vielen meiner Klienten… Ich berichte dir in meiner heutigen Podcastfolge und Blogeintrag von einem massiven persönlichen Aha-Erlebnis aus meiner Beratungspraxis, von einer Feststellung, die sich in den letzten Monaten immer weiter verdichtet hat: Die Mehrzahl der Lehrerinnen und Lehrer, die in mein Berufswechsel-Mentoring kommen, weisen mindestens eines, wenn nicht sogar mehrere der folgenden Persönlichkeitsmerkmale auf: Hochsensibilität, “Scannerpersönlichkeit” und (für mich wirklich unerwartet) Hochbegabung. Was das genau heißt, in welchem Zusammenhang diese Veranlagungen stehen und warum sie aus meiner Sicht zu Unzufriedenheit im Lehrberuf führen, erfährst du hier.

Viele LehrerInnen in meiner Beratung sind hochsensibel, Scannerpersönlichkeiten und bei einigen spielt eine bislang nicht diagnostizierte Hochbegabung eine Rolle.

In meinen beruflichen Neuorientierungscoachings, Mentorings und Beratungen im Jahr 2019 haben sich diese Themen immer wiederholt, ohne dass ich sie selbst meinen Klienten unter die Nase gerieben hätte, denn ich achte sehr darauf, meine eigenen Themen nicht auch anderen anzudichten. Hochsensibilität und Vielbegabung (eine andere, positivere Umschreibung des Scanner-Begriffs), das sind schon seit langem meine Themen. Hochbegabung im Erwachsenenalter – das kam tatsächlich aus den Erfahrungen meiner Berufspraxis neu dazu. In meinem Buch Ausgelehrt. Ab morgen läuft die Schule ohne mich! schimmern sie zwar bereits durch, doch bleiben noch implizit. Diese Lücke wird hier nun geschlossen.

Gibt es eine Korrelation zwischen der Kündigung als Lehrer und der individuellen Persönlichkeitsstruktur in Hinsicht auf Sensibilität und Begabung?

Dabei kann ich natürlich nicht behaupten, dass die meisten Lehrer, die über eine Kündigung nachdenken, wahrscheinlich hochsensibel, vielbegabt, oder gar hochbegabt sind. Schließlich gibt es über die Demographie und Eigenschaften von Lehreraussteigern keinerlei Studien. Aus meinem ganz subjektiven Eindruck möchte ich dir jedoch heute berichten, dass es einfach eklatant auffällig ist, wie viele meiner Klienten diese Themen haben. Wichtig genug also, um eine Podcastfolge darüber aufzunehmen, die du oben abspielen kannst. Im Folgenden möchte ich dir die drei Konzepte – Hochsensibilität / Scannerpersönlichkeit / unerkannte Hochbegabung im Erwachsenenalter – vorstellen. Nicht, um dir weiß zu machen, dass sie alle drei zwangsläufig auf dich zutreffen, sondern um dir Recherche- und Denkansätze zu geben, ob du dich hier möglicherweise wiederfindest.
Meine KlientInnen sind ähnlich verkabelt. Zufall? (Foto: Unsplash)

Diese drei Konzepte liefern eine Fülle von Erklärungsansätzen, warum man sich als Lehrer und insbesondere auch als Beamter in unserem Schulsystem so fühlt:

Fehl am Platz, irgendwie verkehrt, viel zu sensibel, ständig erschöpft und von der Fülle von Reizen überwältigt, angewidert von den Hierarchien und Strukturen, gefühlt unzulänglich weil man die Dinge nicht so begeistert und diszipliniert zuende bringt wie die Kollegen, gleichzeitig intellektuell wenig herausgefordert und angeödet von den immer gleichen Themen, schmerzhaft gelangweilt von Routinearbeiten wie dem Korrigieren, dabei aber emotional und körperlich sehr gestresst, “zu lieb für diesen Job”, oder aber “zu quertreiberisch und unkonventionell für diesen Job” etc.

Wenn du dich hier wieder erkennst, solltest du auf Spurensuche gehen. Einige Fährten, Empfehlungen und Namen dazu findest du hier. Jetzt aber endlich zu der Frage:

Was heißen diese drei Konzepte und welche Relevanz haben sie für Unzufriedenheit im Lehrberuf und berufliche Umorientierung als Lehrer?

1. Hochsensibilität

Auf das Konzept “Hochsensibilität” bin ich im Jahr 2013 durch meinen Mann Frank gestoßen. Vielleicht hast auch du schon darüber gelesen, oder davon gehört, denn Hochsensibilität beginnt als Thema langsam wirklich zu boomen. Hochsensible HSPs (Highly Sensitive Person) veröffentlichen zunehmend Podcasts, Bücher, Blogs und rücken das “Zartbesaitetsein” in den Fokus.

Hochsensibilität – eine Modeerscheinung, oder ist da was dran?

Ich selbst hielt Hochsensibilität zunächst für eine esoterische Kategorie aus der Aluhut-Schublade und begann recht skeptisch darüber zu recherchieren. Dabei stieß ich auf Elaine Aron, die diesen Begriff in den 90er Jahren prägte und den andere dann wiederum aufnahmen. Hochsensibilität als wissenschaftliches Konzept ist bis heute nicht unumstritten, auch wenn viel dazu geforscht wurde. Letztlich kommt es wohl immer darauf an, wen man fragt… wie immer trifft man auf emotional aufgeladene Debatten, auf einen gewissen Hype, der darum gemacht wird, was bei mir umso mehr kritische Fragezeichen aufpoppen lässt.

Doch allem Hype zum Trotz ist das Konzept Hochsensibilität für mich mittlerweile sehr plausibel, real und nicht wegzudiskutieren. (Seine Repräsentation auf Social Media und im Internet mal dahingestellt…) Sehr abgeholt hat mich dabei das Buch “Sensibel Kompetent: Zart besaitet und erfolgreich im Beruf” von Dr. Marianne Skarics, in dem gleichzeitig auch mein ausgeprägtes Bedürfnis nach wissenschaftlich Anbindung befriedigt wird. Tatsächlich war das Buch bei der ersten Lektüre 2013 ein echter Augenöffner für mich. Hier fühlte ich mich in meinem „so-sein-wie-ich-eben-bin“ sehr genau beschrieben und teilweise auch schmerzlich erwischt.

Bin ich hochsensibel oder einfach nur hysterisch? 😉

Hochsensibilität, das meint eine besondere Reizoffenheit sowohl auf körperlicher als auch psychischer Ebene, so als sei das gesamte Nervenkostüm in permanenter Habacht-Stellung. Nein – es geht nicht um Hysterie, diese durchaus im misogynen Kontext verwendete Modediagnose des 19. Jahrhunderts! 😉 Wie äußert sich Hochsensibilität nun? Das kann eine Empfindlichkeit gegenüber Lautstärke sein, gegenüber scheuernden Kleidungsstücken, eine besondere Allergie- und Unverträglichkeitsneigung gegenüber Nahrungsmitteln etc. (die ich leider habe…), vor allem aber auch eine erhöhte Wahrnehmungsfähigkeit für alles Zwischenmenschliche.

Wenn Friedemann Schulz-von-Thun in seinem Kommunikationsmodell von den vier Ohren einer Botschaft spricht, dann haben HSPs permanent fünf bis sechs Ohren auf Empfang.

Sie lesen zwischenmenschlich sehr viel gründlicher zwischen den Zeilen als andere. Entsprechend ist die Ruhebedürftigkeit von HSPs ausgeprägter, denn schon der “normale Lehrer-Alltag” wird empfunden wie die Rush-Hour in der Londoner Underground.

Ein Schlüsselwort dabei ist die „Verarbeitungstiefe“. Informationen und Reize werden in Quantität und Qualität stärker wahrgenommen und intensiver verarbeitet. Wärst du ein Computer, so würde man davon sprechen, dass dein Arbeitsspeicher und deine Festplatte permanent auf höchster Auslastungsstufe rotieren. Die Folge: Der Rechner läuft heiß und wird langsamer.

Für mich war es einerseits eine große Erkenntnis, dass mein “So-sein-wie-ich-bin” einem wissenschaftlich erforschten Muster entspricht, gleichzeitig erklärte das für mich auch, warum ich an so vielen Stellen im Schulalltag deutlich mehr Stress empfand als die meisten (wohl eher dickhäutigen) Kollegen.

Tatsächlich ließ sich viel meiner Belastung im Schulalltag auf meine besondere Sensitivität gegenüber äußeren Reizen zurückführen. Dabei war ich selbst nach außen hin ein ziemlich toughes Modell von Lehrerin, der man dies wohl kaum anmerkte. Ich hatte meine Klassen im Griff, war stets gut organisiert und behielt (meistens) auch in stressigen Situationen nach außen hin die Ruhe.

Doch die Lautstärke und Wuseligkeit in der Schule, die ständige Reizüberflutung, das war nur eine Facette. Besonders schwer zu tragen hatte ich an meiner ausgeprägten Fähigkeit, die Emotionen und Bedürfnisse meiner Schüler besonders gut wahrnehmen zu können.

Für hochsensible Lehrer extrem belastend: In der Schule werden Emotionen und Bedürfnisse am laufenden Band gefunkt was das Zeug hält.

Man kann NICHT NICHT kommunizieren, so die erste Grundregel der Kommunikationstheorie von Paul Watzlawick, und in der Schule werden Emotionen und Bedürfnisse am laufenden Band gefunkt was das Zeug hält. Für hochsensible Lehrer kann das extrem belastend sein, auch wenn sie nach außen hin gut „funktionieren“.

Meine Antennen waren dabei auf Dauerempfang und sehr fein. Eigentlich eine Stärke, sollte man meinen. Schließlich brauchen wir empathische Lehrer, die die Bedürfnisse von Schülern auch erkennen, wenn diese nicht verbalisiert werden. Nicht umsonst qualifizierte ich mich recht früh zur Beratungslehrerin weiter, denn mir lag es einfach, mit Schülern auf dieser Ebene zu kommunizieren.

Dennoch empfand ich den ständigen Empfang von Bedürfnissen und Empfindungen in der Schule als extrem überfordernd. Ich stellte nämlich fest, dass die allermeisten meiner Kollegen die Dinge, die für mich offensichtlichen Handlungsbedarf bedeuteten, gar nicht wahrnahmen. Schlechte Stimmung im Klassenverband, Mobbing, Schüler mit geringem Selbstbewusstsein oder depressiven Phasen, Schüler die andere gängelten und das Klassenklima negativ dominierten

Ist Schule kein Ort für Hochsensible? Schade eigentlich! (Foto: Unsplash)

Schieflagen im Klassenverband und Veränderungen einzelner Schüler nahm ich sehr schnell wahr, während andere Kollegen stumpf ihren Unterrichtsstiefel durchzogen und Schülerkonflikte unadressiert vor sich hin gärten.

Als Beratungslehrerin wurde ich oft zu Mobbinginterventionen hinzugezogen, die sich schon über Jahre aufgeschaukelt hatten. Die das Klassenklima derart vergifteten, dass ich mich fragte, wie man so ÜBERHAUPT unterrichten, oder auf Schülerseite eben lernen konnte. Auch war es für mich unerträglich, wenn pädagogische Bullshit-Maßnahmen diskutiert und durchgeführt wurden, die am Kern von Schülerproblemen vorbei gingen.

Mein sehr sensibler Bullshit-Detektor drehte in der Schule permanent im roten Bereich.

Ein vollkommen unausgegorenes Förderplankonzept für gefährdete Schüler nur damit sie pro Forma beschäftigt sind und man der Schule nichts vorwerfen kann? Ich breche heute noch Galle beim Gedanken daran, wieviel Energie und Zeit Schülern und Lehrern in der Schule durch vollkommen unerträglichen Bullshit geraubt wird. Auch weil unsensible und dickfellige Lehrkräfte und Leitungen dies selbst so verordnen! (Sorry, musste mal raus!!)

Für mich war dieser zum Himmel schreiende Schwachsinn, der den Schulalltag dominiert schlichtweg unerträglich und ich hatte das Gefühl, dabei draufzugehen, selbst diese Sch***e auch noch nach außen vertreten zu müssen. Andere Kollegen konnten sich deutlich besser davon distanzieren, bzw. nahmen das gar nicht so drastisch wahr. Auch ein Schlüssel zur Lehrergesundheit…

Achtung Zynismus: Stumpfe Lehrkräfte leben gesünder und zufriedener. Es lehrt sich so viel entspannter, wenn man die Einschläge nicht wahrnimmt...

Dass es sehr vielen meiner Klienten in ihren feinen Antennen ähnlich geht, diese Feststelltung machte ich erst mit wachsender Coaching-Erfahrung. Dabei brachte niemals ich dieses Thema aufs Tapet oder stülpte es von außen auf – meist hörte ich es aus dem Mund meiner Klienten. Einige hatten sich bereits mit Hochsensibilität beschäftigt, andere nicht, beschrieben mir die Merkmale aber sehr exakt. Sobald ich anregte, über das Thema Hochsensibilität einmal zu recherchieren und zu reflektieren erhielt ich oft aufgeregte Emails, Sprachnachrichten und sonstige bewegende Responsen in der darauffolgenden Sitzung. Für viele meiner Klienten, die sich bislang falsch und unzulänglich fühlten, ist die Hochsensibilität ein echtes Erklärungsmuster.

Auffällig viele meiner Klientinnen streben eine Selbstständigkeit als Coach oder (psychologischer/ pädagogischer etc.) Berater an – weil die Schule für zwischenmenschlich besonders sensible Menschen langfristig kein Ort ist?

Ein weiterer Fun-Fact: Viele meiner Klienten haben bereits Coachingausbildungen begonnen, oder eine andere Art von beraterischer Tätigkeit für Ihre Zukunft im Sinn, wenn sie zu mir kommen. Folglich ist die Anzahl von Klientinnen, die sich als Coach oder Beraterin selbstständig machen wollen, und die ich mit meinem Mann Frank in der Gründung berate und begleite, auffällig hoch. Zynisch könnte man behaupten: Für empathische Menschen mit beraterischem Talent gibt es in der Schule zwar eigentlich unendlich viel Bedarf, aber in der Realität weder Raum noch Wertschätzung. Ergo suchen sie sich Sinn und eine Existenz außerhalb der Schule. Wenn du aktuell nach DEINER möglichen Alternative zum Lehrberuf suchst, lade dir hier als  Downloadgeschenk direkt mein eBook „Berufsalternativen für Lehrer“ runter.

2. Scannerpersönlichkeit / Vielbegabung / Multipotentialite

Zusätzlich zum wiederkehrenden Thema Hochsensibilität kristallisierte sich ein weiteres, nicht minder vertretenes Muster heraus, das der “Scannerpersönlichkeit“. Und das ist kaum verwunderlich – es besteht oft eine Korrelation zwischen Hochsensibilität und Vielbegabung.

Das Konzept der vielbegabten Scannerpersönlichkeit habe ich tatsächlich erst seit Anfang 2019 kennengelernt. Ich stieß darauf im Zusammenhang meiner Weiterbildung zum Laufbahn- und Karrierecoach, wo in den vorbereitenden Unterlagen immer wieder der Begriff Scanner verwendet wurde und auch ein TED-Talk zu diesem Thema verlinkt war (Emilie Wapnick: Why some of us don’t have one true calling). Zuvor war ich schon im Internet auf “Scanner-Coachings” im beruflichen Kontext gestoßen, hatte aber noch nicht besonders viel damit anfangen können.

Ergo: Scannerpersönlichkeiten sind im Laufbahncoaching bekannt, sie sind bei der Berufswahl besonders herausgefordert und klopfen demnach gehäuft bei Karrierecoaches an. Auch bei diesem Konzept erlebte ich, dass ich mich in meinen Verhaltensweisen seit Kindheitstagen sehr gut beschrieben fühlte:

Scanner, Vielbegabte, Rennaisancemenschen, Multipotentialites – für (verbeamtete) Lehrer ein herausfordernder Persönlichkeitszug, der Engegefühle und Unzufriedenheit vorprogrammiert.

Scanner sind Metaebenen-Menschen, Personen, die zwischen vielen Interessen, vielen Themen, Leidenschaften, Hobbys, Disziplinen springen, sie „abscannen“, die sich für das große Ganze, rote Fäden und interdisziplinäres Denken viel mehr interessieren, als für die Details einer Sache. Da die Bezeichnung „Scanner“ negative Konnotationen von „Oberflächlichkeit“ oder „Unbeständigkeit“ hervorruft, ist heute im Netz auch der Begriff „Vielbegabung“ als Synonym verbreitet, im anglophonen Raum hat sich der Begriff des „Multipotentialite“ verbreitet. Vielbegabte, oder auch „Renaissancemenschen“ (wie man in Foren romantisiert in Anlehnung an das Renaissance Ideal des vielbegabten Leonardo da Vinci formuliert) wissen nicht wohin mit all ihren Interessen und Begabungen.

Zu viele Interessen für eine starre Behördenlaufbahn? (Foto: Unsplash)

Scanner erleben sich selbst als Mängelwesen: Sprunghaft, wenig ausdauernd, wenig zielgerichtet.

Das ist Fluch und Segen: Nur wenige sind so breit aufgestellt wie Scanner, die sich sehr schnell und exzessiv in Themen einarbeiten, schnell auch ein gewisses Kenntnis- und Könnensniveau erreichen, dann nach einer intensiven Beschäftigungs-Supernova aber allmählich das Interesse verlieren und das nächste Projekt ins Visier nehmen möchten. Genau das ist ihr Problem: sie sind in nichts WIRKLICH RICHTIG gut, weil sie nicht lange genug bei der Sache bleiben, um WIRKLICH Experte zu werden und sich einem Thema lebenslang zu verschreiben. Scanner erleben das als Mangel an Durchhaltevermögen, als Unzulänglichkeit, Sprunghaftigkeit, Beliebigkeit. „Ich kann nichts zu Ende bringen, fühle mich von mir selbst getrieben“, so würde es ein Vielbegabter ausdrücken. Im Gegensatz zu „Tauchern“ langweilt es sie unermesslich, sich über ein gewisses zeitliches Maß hinaus mit einer Sache zu beschäftigen.

Die amerikanische Coachin und Autorin Barbara Sher definierte erstmals das Label und den Begriff des „Scanners“

Über die wissenschaftliche Belegbarkeit des Scanner-Labels, das von der amerikanischen Coachin Barbara Sher definiert wurde, kann man sich auch hier wieder streiten. Fest steht, dass es einen bestimmten Persönlichkeitstypus umschreibt, der Overlaps mit den wissenschaftlich wiederum gut erforschten Phänomenen der Hochsensibilität und der Hochbegabung aufweist. Je nachdem, wo man nachliest, wird man Vielbegabung als eine Spielart von Hochbegabung umschrieben finden. Eine ungewöhnliche Begabung in die Breite – anstelle des klassischen Bildes des „inselbegabten“ Nerds, der in einer bestimmten Disziplin genial ist.

Scanner - oder ADHS im Erwachsenenalter?

Kürzlich erzählte mir eine Klientin, die ich als klassische Scannerpersönlichkeit einstufen würde davon, dass sie seitens eines medizinischen Fachmanns eine ADHS Diagnose für eben dieses Verhalten gestellt bekommen habe. Diese Diagnose hätte sie als erwachsene und arrivierte Lehrperson überaus überrascht, denn eigentlich könne sie sich sehr gut konzentrieren. Inwiefern es tatsächlich einen Overlap zwischen ADHS und Scannerpersönlichkeit gibt – bilde dir als LeserIn bitte eine eigene Meinung. Ich persönlich halte die beiden Konzepte für kaum vergleichbar. Möglicherweise ist die „Diagnose ADHS“ aber die einzige medizinische Kategorie, die das Phänomen wandernder Interessen annähernd abbildet, so dass sie (meines Erachtens fälschlicherweise) hier herangezogen wird. Wie gesagt, liebe/r mündige/r Leser/in: mach dir dein eigenes Bild. Das hier sollen nur Rechercheansätze für dich sein.

Für Scannerpersönlichkeiten gestaltet sich die Berufswahl oft schwierig und der Lebenslauf ist nicht selten von radikalen Brüchen geprägt. Dies wird als Versagen empfunden.

Fest steht: Der Gedanke, mein Leben lang ein und dieselbe Sache zu tun löst in mir heute Fluchtimpulse aus. In meinem Leben hatte ich immer intensive Entdeckerphasen, und ich sprang zwischen so vielen Interessen, Hobbys, äußerlichen „Looks“ etc., dass selbst meine guten Freunde immer wieder stutzig werden und meine Familie nicht mehr mitkommt. Die Erkenntnis, dass diese Züge tatsächlich in meiner Persönlichkeit verankert sind, erklärt mir retrospektiv mein klaustrophobisches Enge-Empfinden im Lehrberuf.

Retrospektiv weiß ich: Der Lehrberuf und die Verbeamtung MUSSTEN mir irgendwann um die Ohren fliegen.

Warum ich in meinen Lebensjahren zwischen 20 und 30 dachte, dass ausgerechnet eine berufliche Laufbahn als lebenszeitverbeamtete Lehrerin für mich das richtige sei? Vielleicht war es der Versuch, meinem Leben ein stabiles äußeres Korsett zu verpassen, einen Fixpunkt. Vielleicht habe ich mir aber auch einfach gar nichts dabei gedacht, bin dem gesellschaftlichen Credo von „Verbeamtung ist toll“ zu unreflektiert gefolgt und hatte nicht vorausgesehen, wie monoton der Lehrberuf dann doch ist. Aus heutiger Sicht springt es mich förmlich an, dass das nicht gut gehen konnte. Aber heute kenne ich mich auch einfach viel besser als vor 20 Jahren, und habe Quantensprünge in der Persönlichkeitsentwicklung hinter mir.

Was Scanner auszeichnet: Begeisterungsfähigkeit, unerschöpfliche Neugier, starke intrinsische Motivation, Bereitschaft, Neues und auch Beängstigendes auszuprobieren - sie verfügen über eine fast kindliche Aufbruchsenergie.

In der Schule können diese Wesenszüge zu starkem Frust führen. Nicht selten haben meine KlientInnen zahlreiche Ämter, Funktionen und Projekte bereits durch, wenn sie zu mir kommen. Ihr Bedürfnis, sich in Schule ihre Nische zu suchen, Neues zu schaffen, sich in Dinge einzuarbeiten hat sie oft an die Grenzen des rigiden Behördenapparats gebracht. Denn in der Schule ist bei einem gewissen Anspruch von Flexibilität schlichtweg Ende im Gelände. KlientInnen klagen über Kollegien, die den Arsch nicht hoch kriegen, die keine Veränderung WOLLEN, die ihren Aufwand nicht wertschätzen und sogar von Innovationswillen genervt sind.

Die in Schule so weit verbreitete Beamtenmentalität und der obrigkeitshörige, preußisch geordnete formale Rahmen der Behörde sind Sand im Getriebe für Vielbegabte.

Eine besondere Challenge bedeutet für Vielbegabte aus allen oben genannten Gründen und Neigungen auch die Selbstfürsorge und das Bewahren der eigenen Gesundheit. Ein Leben, in dem man niemals ankommt, ist anstrengend! Nicht selten führt der Weg in Burnout und Depression. Bitte nehme also deine körperlichen und psychischen Signale ernst. Für dich ist nichts verloren! Selbstfürsorge ist eine Routine und Haltung, die sich erlernen lässt, und auch in deine berufliche Laufbahn lassen die Entwicklungsräume, die du brauchst, gut einplanen. Dafür erfordert es jedoch Zuversicht, Veränderungsgeist, ein Nicht-beirren-lassen und zu allererst: Akzeptanz und „Umarmen“ deines So-Seins, damit du deine Besonderheiten als Asse spielen kannst.

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„Als ver­be­am­te­ter Leh­rer hat man aus­ge­sorgt. Es wä­re doch ver­rückt, dies frei­wil­lig auf­zu­ge­ben!?“ Den­noch wächst die An­zahl de­rer, die der Schu­le für im­mer den Rü­cken keh­ren, Ver­lus­te in Kauf neh­men und sich auf ei­ne un­ge­wis­se Zu­kunft ein­las­sen. Al­les Ver­rück­te – oder nur die Spit­ze des Eis­bergs ei­nes kran­ken­den Lehr­be­rufs? Als Isa­bell Probst ih­re Stel­le als Stu­di­en­rä­tin an den Na­gel häng­te, stieß sie auf un­er­war­te­te Hür­den in den Köp­fen, auf for­ma­le In­trans­pa­renz, (…)

3. Hochbegabung im Erwachsenenalter

Zuletzt möchte ich noch auf das Konzept Hochbegabung bei Lehrkräften eingehen. Ich muss dir als LehrerIn nichts über Hochbegabung erzählen. Beruflich hat vielleicht der eine oder andere schon mit hochbegabten Schülern zu tun gehabt, oder mit Schülern, bei denen es gar nicht so klar ist, woher ihre Lernschwierigkeiten kommen, und das Thema Hochbegabung im Raum steht. Wenn es jemanden gibt, der skeptisch wird bei: „Klein Timmi hat ne 5 in Mathe – kein Wunder, der ist unterfordert weil hochbegabt“, dann sind wir das. Ehrlich gesagt verdrehen einige von uns Lehrern beim Schlagwort Hochbegabung schon fast die Augen…

Als Lehrer verdrehen viele von uns schon fast die Augen beim Schlagwort „hochbegabt“

Wie soll man da den Gedanken ernst nehmen, dass in dem einen oder anderen von uns unzufriedenen Lehrern eine nicht diagnostizierte Hochbegabung schlummern sollte, sie sich an den Außengrenzen von Behörde, Lehrberuf und Lehrerzimmermentalität reibt? Dennoch lade ich dich ein – wie man so schön auf Pädagogisch sagt – dieses Thema ernst zu nehmen. Nein, nicht alle unzufriedenen Lehrer sind hochbegabt (was für eine bekloppte These wäre das auch?), aber ich möchte mein Erlebnis mit meiner Klientin „Miriam“ mit dir teilen, das mich auf die Fährte brachte, dass Hochbegabung ÜBERHAUPT ein Thema in meinem Coaching sein könnte.

Meine Klientin Miriam entdeckte im Rahmen unseres Coachings ihre Hochbegabung – die auch von fachlicher Seite bestätigt wurde.

Miriam (Name geändert) hinterließ schon in unserer ersten Sitzung einen so bleibenden Eindruck bei mir (extrem wach, scharfsinnig, absoluter intellektueller Überfliegertyp), dass ich sie einfach ganz offen darauf ansprechen musste: „Sag mal, wurdest du eigentlich in der Vergangenheit schon einmal auf Hochbegabung getestet?“ – „HOCHBEGABUNG? *lach* Nein, ich war in der Schule eher so im Dreierbereich. Im Studium bin ich dann erst voll durchgestartet.“ Miriam hatte im Studium eine beachtliche Entwicklung hingelegt. An verschiedenen Lehrstühlen gearbeitet, eine Promotion begonnen, auf internationalem politischen Parkett „gejobbt“.

Unentdeckte Hochbegabung im Erwachsenenalter ist gar nicht so selten. In einigen Fällen erklärt sie berufliche Findungsschwierigkeiten.

Worüber sie in unserer ersten Sitzung noch gelacht hatte, wurde schon in der zweiten Sitzung zum ernsten Thema. „Du Isabell, dieses Hochbegabungsding ist mir nach unserer Sitzung nicht aus dem Kopf gegangen. Ich habe dann tatsächlich mal meine Eltern gefragt und die haben mit höchster Selbstverständlichkeit geantwortet: „Ja, das wissen wir schon seit deiner Grundschulzeit, dass du vermutlich hochbegabt bist, aber wir wollten dich nicht auf eine „besondere Schule“ schicken. Ich habe dann auch meinen Neurologen darauf angesprochen, zu dem ich wegen meiner Kopfschmerzen gehe. Der hat mir bestätigt, dass auch ihm vollkommen klar war, dass meine Art von Kopfschmerzen besonders bei Hochbegabung auftritt und ich das wahrscheinlich bin.“ – Miriam begann dem Thema ab dann gezielt nachzugehen und es warf ein vollkommen neues Licht auf ihre aktuelle Situation in der Schule.

Hochbegabt? Ich lach mich schief! Oder... ist doch was dran? (Foto: Unsplash)

Miriams Begabungsprofil war keineswegs ein "Einzelfall"

Ich hatte Miriams „Fall“ als singuläres Phänomen abgetan, bis nur zwei Wochen später eine andere Klientin von sich aus mit diesem Thema auf mich zukam. Sie machte mich aufmerksam auf das Buch „Kluge Köpfe, krumme Wege. Wie Hochbegabte des passenden Berufsweg finden“*, in dem sie sich auf erschütternde Weise beschrieben fühlte (ich übrigens auch, was mich bis heute ziemlich konsterniert und noch mal ein ganz neues persönliches Fass auf macht). Und hier – ist das jetzt Zufall oder schließt sich da der Kreis? – wurde Hochbegabung insbesondere in seiner Ausprägung als Vielbegabung von Scannerpersönlichkeiten besprochen. 

Meine Recherchen bestätigten, dass ich da möglicherweise auf eine Fährte gestoßen war: Besonders Begabte haben oft schwierige Berufsbiographien

So schreibt die Süddeutsche 2015: „Hochbegabte werden im Job nur selten geschätzt und gefördert. Daher haben viele hochintelligente Menschen krumme Lebensläufe. Einer Studie zufolge sind Hochbegabte oft motiviert, sie wollen gestalten – an Führung und Karriere haben sie hingegen oft wenig Interesse. (…) Viele lernen auf dem zweiten Bildungsweg, haben mehrere Berufe ausprobiert oder satteln in der Lebensmitte noch einmal komplett um. Manche erkennen ihre Hochbegabung erst spät. ‘Sie blicken dann mit einer Mischung aus Wehmut, Hoffnung und Aufbruch auf ihr Leben‘, sagt Dorothea Schlegel-Hentrich, Leiterin des Instituts für Hochbegabtencoaching in Bad Homburg. Oft mische sich auch Wut hinein.“

Quelle: Süddeutsche

Mädchen werden deutlich seltener auf Hochbegabung getestet, obwohl die Verteilung statistisch zwischen den Geschlechtern gleich ist.

Meine Beschäftigung mit dem Thema stieß mich auch auf die Tatsache, dass Mädchen bzw. Frauen deutlich weniger zu Begabungstests geschickt werden, mit denen eine Hochbegabung abgeklärt werden soll. Tatsächlich wird die Hochbegabung bei nur einer von vier besonders begabten Frauen im Rahmen eines Tests offiziell festgestellt. Nicht weil es mehr hochbegabte Jungs/Männer gäbe, sondern weil hier die gleichen Geschlechterklischees am Werk sind, aufgrund derer bei Frauen auch seltener die Symptome eine Herzinfarkts als solche erkannt werden: Man erwartet es weniger von ihnen. Intelligenz und Performance ist in unserer Gesellschaft ebenso männlich konnotiert wie bestimmte Krankheitsbilder, die als typisch männlich gelten. In Schmidtbauers „Kassandras Schleier. Das Drama der hochbegabten Frau*“ werden diese bedrückenden Zusammenhänge dargestellt.

Woher weißt du nun, ob das dein Thema ist? Hier ein paar Ansätze für deine Recherche und Reflexion:

  • Du hattest im Studium und Referendariat stets super Noten – daran lag’s nicht…
  • Von deinen Ausbildern wurde dir stets hochgradige Eignung als LehrerIn ausgesprochen (umso verwirrender, weil du selbst dich in diesem Beruf nicht wohl fühlst)
  • Du fühlst dich intellektuell unterfordert und unglaublich angeödet von Routinearbeiten, z.B. Korrekturen, Notenaufzeichnungen, wiederkehrende Vorbereitungen
  • Du bist ein Mensch voller unkonventioneller Ideen und toller Konzepte, es fehlt aber der lange Atem, diese umzusetzen
  • Dein Lebensgrundgefühl ist stark abhängig von der Umsetzung der eigenen Begabungen und Werte
  • Deine Verbesserungsvorschläge, kritischen Anmerkungen, ungewöhnliche Arbeitsmethoden und die Tendenz, schon Lösungen zu präsentieren, wenn andere noch dabei sind, das Problem zu beschreiben,  stoßen bei Kollegen und Vorgesetzten vielfach auf Unverständnis oder Ablehnung.
  • In der Selbstwahrnehmung gewichtest du deine eigenen Fehler und Unzulänglichkeiten stärker als deine zahlreich vorhandenen Erfolgserlebnisse.
  • Du empfindest deinen Job als zu wenig „weltbewegend“.
  • Du funktionierst nicht gut in Hierarchien (insbesondere die Trägheit des Apparates Schule und die veränderungsscheue Haltung in manchen Kollegien lässt dich die Wände hoch gehen)
  • Wenn du dir einen Beruf backen könntest, sähst du dich in einer Selbstständigkeit, denn dein eigentlicher Traum ist, irgendwann mal ganz dein eigenes Ding zu machen und dabei niemandem Rechenschaft ablegen zu müssen.

 

In Anlehnung an: Andrea Schwiebert; Kluge Köpfe krumme Wege

Hochsensibilität, Scannerpersönlichkeit und Hochbegabung – diese drei Phänomene korrelieren und treten bei manchen Menschen zusammen in einer Person auf. Auf die Mehrheit meiner Klienten treffen zumindest die ersten beiden zu. Zufall?

Seit diesen Erlebnissen mit Miriam und auch anderen Klientinnen gehe ich mit geschärften Antennen für Hochsensibilität, Vielbegabung und Hochbegabung durch meine Coachingtätigkeit. Nein – ich bin nicht plötzlich Fachfrau für Hochbegabung. Vielleicht ist das wissenschaftlich gesehen auch alles Blödsinn, was ich da erzähle. Unzufriedene Lehrer – das sind halt hysterische, wenig belastbare Hühner – oder doch nicht? In diesem Artikel möchte ich dir drei Rechercheansätze bieten. Was du daraus machst, ist deine Sache.