Der dänische Familientherapeut Jesper Juul ist bekannt für seinen Ansatz, Kinder nicht durch ein Regelwerk aus Belohnung und Bestrafung erziehen zu wollen. Stattdessen postuliert er, dem Nachwuchs Verhaltensweisen, Haltungen und Werte vorzuleben und durch liebevolles Begleiten mit dem Kind in Beziehung zu gehen. Hierbei sei es von zentraler Wichtigkeit, dem Kind mit der selben wertschätzenden Haltung zu begegnen, die man auch einem erwachsenen Partner einnimmt. Dies, so Juul, sei die einzig wirksame Art der Einflussnahme durch Eltern auf das Kind da Kinder maßgeblich durch Nachahmung lernen und der liebevoll grenzen-setzenden und erklärenden Kommunikation „auf Augenhöhe“ bedürfen.

Hierfür hat Juul in seinen Publikationen das Schlagwort des „gleichwürdigen“ Kindes geprägt. Gleichwürdig, dass heißt für ihn, dass ein Kind dem Erwachsenen nicht als gleichwertig gelten dürfe. Die Wünsche des Kindes seien denen des Erwachsenen demnach nicht als gleichwertig anzuerkennen, denn das Kind habe einen Erfahrungsrückstand, den der Erwachsene durch Anleitung ausgleichen müsse. Dazu gehöre auch, dass der Erwachsene gezielte Entscheidungen auch gegen den Willen des Kindes treffen muss. Das Schlagwort „gleichwürdig“ betont jedoch die Art und Weise, wie dieses vollzogen werden soll, nämlich durch liebevolle und respektvolle Kommunikation und nicht durch eine für das Kind erniedrigende und beschämende Deckelung.

Heutzutage, so Juul, habe sich als Ablösung der traditionellen „Bestrafungs-Kultur“ in der Erziehung eine „Belohnungs-Kultur“ verbreitet, die jedoch letztendlich auch nichts anderes als die klassische Pawlowsche Konditionierung darstelle – und damit eine sinnentleerte Dressur anstelle von wirklichem Wachstum und Einsicht. Letzteres könne nur durch die oben umrissenen Umgangsformen erreicht werden.

Dieser äußert interessante Artikel legt Juuls Philosophie einer Erziehung durch Beziehung eindrücklich dar: Das neue Paradigma der Erziehung: keine Erziehung


Es stellt sich jedoch berechtigterweise die Frage nach der Realisierbarkeit dieses Konzepts:

Juul wird wohl vor allem von solchen Menschen den schnellsten Applaus erhalten, die selbst keine Kinder haben. Manche Eltern hingegen sind skeptisch. Hat Herr Juul schonmal versucht, mit einem trotzigen dreijährigen ein gleichwürdiges Gespräch zu führen? Wie hilft das bei ‚Ich will nicht ins Bett‘ und ‚Ich will Gummibärchen‘, bei Trotz- und Heulattacken? (Quelle: s.o.)

Hierzu räumt Juul ein, dass seine Philosophie der Beziehung keine Methode sei, das Kind dazu zu bringen, was die Eltern wollen. Schlechte Nachrichten also für den alltäglichen Hick-Hack. Dennoch stellt sich die Frage, ob das übergeordnete Ziel, eine gesunde Eltern-Kind-Beziehung pflegen zu können, diese unabwendbaren Konflikte nicht erträglicher macht:

Auseinandersetzungen sind nicht nur vorprogrammiert, sie sind wichtig. Eltern sind die Sparringspartner des Kindes, hier lernen sie, was zwischenmenschliche Beziehungen bedeuten, hier lernen sie, wie man Konflikte und Streits auflösen kann. (Quelle: s.o.)


Ale weitere Lektüre empfehle ich sowohl die Internetseite „Familylab“ (Organisation von Jesper Juul), als auch:
Jesper Juul: Dein kompetentes Kind: Auf dem Weg zu einer neuen Wertgrundlage für die ganze Familie
Jesper Juul: Nein aus Liebe: Klare Eltern – starke Kinder
Jesper Juul: Pubertät – wenn Erziehen nicht mehr geht: Gelassen durch stürmische Zeiten