Erinnern Sie sich an das wohlklingende Wort „Wutbürger“, by the way das Wort des Jahres 2010? „Der Wutbürger buht, schreit, hasst. Er ist konservativ, wohlhabend und nicht mehr jung“ schrieb der Spiegel damals.

Während sich der klassische, gut-situierte und gereifte Wutbürger mit Vorliebe auf Stuttgarter Baustellen herumtreibt und per Hassbrief in der Lokalzeitung gegen Windräder demonstriert (Don Quixote ?), hat sich sein jüngeres Pendant ein weniger abstraktes Feindbild ausgesucht. Die moderne Kombination aus dem „Lebenskampf“ in unserer globalisierten Ellenbogengesellschaft und der Elternschaft scheint eine neues Phänomen generiert zu haben, die „Wut-Eltern“. Meistens sind dies Eltern, (insbesondere scheint die Dynamik von Vätern auszugehen), die selbst auf eine beachtliche oder steinige Karriere zurückblicken können. Akademiker, Manager, erfolgreiche Leitungspersönlichkeiten aus der Wirtschaft, gerne mit Doktor- oder nach jüngstem Beispiel meiner Erfahrung auch mit Professorentitel. Dem Nachwuchs soll es ähnlich ergehen und Umwege auf dem Bildungsweg sind hier anscheinend undenkbar. Die Schule und insbesondere die einzelnen Lehrer, deren Notengebung nicht gefällt, erscheinen hier als Dienstleister und Statisten. Hierbei wird dem Lehrer oft keinerlei Berufskompetenz zugetraut. „Der hat es schließlich zu nichts Richtigem gebracht und muss seinen daraus resultierenden Gesellschaftshass nun darin kompensieren, unschuldigen Kindern auf perfide Art und Weise mit ungerechter Notengebung den Lebensweg zu verbauen.“ Besonders erwacht die Kampfeslust, wenn der Nachwuchs statt der uneingeschränkten Gymnasialempfehlung nur die eingeschränkte, oder gar die Realschulempfehlung bekommt. Oder wenn der Nachwuchs nach verkorkster Oberstufe nicht genügend Punkte hat, um sich für die Abiturprüfungen zu qualifizieren. Oder wenn der Numerus Clausus nicht für das angestrebte Studium reicht.

>Ich möchte an dieser Stelle einräumen: natürlich gibt es die bedauerlichen Ausnahmen unter den Lehrern, bei denen ich ein Anzweifeln der Notengebung absolut verstehen kann und ggf. auch unterstütze. Wie in allen Professionen tummeln sich auch im Lehrberuf einige zweifelhafte Gestalten mit anstrengenden Persönlichkeiten oder gar psychischen Krankheiten. Das ist tragisch. Aber es ist die absolute Ausnahme. Das Bild vom korrupten Lehrer, der in diesen Beruf geschlittert ist und nun dort sein unfachmännisches Unwesen treibt ist einfach nicht wahr. Meiner Erfahrung nach setzen sich die modernen Lehrerkollegien zum allergrößten Teil aus hoch qualifizierten, motivierten, pädagogisch fitten und menschlich zugewandten Profis zusammen. Profis, deren Noten wohl durchdacht und belegbar sind, die jedoch auch Berge von sinnloser Bürokratie abarbeiten und teilweise mit untragbaren Mehrfachbelastungen funktionieren müssen.

Diese Lehrer trauen oft ihren Augen und Ohren nicht, wenn eine „schwach befriedigende“ Klassenarbeit in Klasse 5 oder gar die Validität eines Vokabeltests angefochten werden.Es wird gekämpft, gekämpft, gekämpft um dem Nachwuchs (oder eher sich selbst?) Enttäuschungen zu ersparen. Und dabei wird oft das Wesentliche aus den Augen verloren. Denn gerade die Kinder, deren Eltern so vehement für sie eintreten, leiden meiner Erfahrung nach oft unter großem Leistungsdruck oder Angststörungen. Die Ursachenforschung gleicht hier der Frage nach der Henne und dem Ei. Diese Nöte ihrer Kinder werden von den Eltern jedoch oft nicht thematisiert. Von den Lehrkräften darauf angesprochen, stößt man bisweilen auf Unverständnis, auf Mauern, oder man sticht ins Hornissennest. Gefochten wird um Zahlen.

Im unten verlinkten Beitrag des Bayerischen Rundfunks kommt dazu ein Anwalt mit einer ganz nüchternen Auskunft zu Wort. Versetzungsnoten seien in der Regel leicht und kostengünstig anzufechten, da Schule hier schnell einknicke. Der Kampf um die Versetzung sei somit oft schon für 500 Euro gewonnen. Härter sei dies bei Abiturzeugnissen. Hier zeige sich die Schule etwas hartnäckiger und das Anfechten koste mehrere Tausend Euro.

Wer eine solche Anfechtung schon einmal von Lehrerseite erlebt hat weiß, hier kann die Schule nur verlieren. Denn gefordert werden bei einer Anfechtung schriftliche Aufzeichnungen über jede einzelne Unterrichtsstunde bezüglich mündlicher Beteiligung und dem Vorhandensein von Hausaufgaben und Material. Außerdem muss schriftlich belegt sein, wann man den Schüler auf Defizite angesprochen hat, welche Hilfsangebote man ihm/ihr wann gemacht hat, ob und wie vollständig diese Hilfsangebote wahrgenommen wurden usw.. Bei insgesamt etwa 200 Schülern, die eine Lehrkraft in einem Schuljahr unterrichtet und verwaltet, kann dies natürlich nicht geleistet werden. Bei Anfechtung müssen also die Arbeitsnotizen des Lehrers oft im Nachhinein vervollständigt werden. Eine ärgerliche Sisyphusarbeit, denn im Grunde hat der Lehrer schon verloren. Alleine aufgrund der Subjektivität und der mangelnden Belegbarkeit hat das Anfechten mündlicher Noten, oder sogenannter „SoMi Noten“ (Sonstige Mitarbeit), schon Aussicht auf Erfolg. Der Lehrer KANN schlichtweg nicht über die Gesamtentwicklung ALLER seiner Schüler lückenlos Buch führen. Und doch sind die Noten und sonstigen Beobachtungen zum Schüler in den allermeisten Fällen vollkommen deckungsgleich mit denen der Kollegen. Das ist kein Hexenwerk, sondern pädagogische und fachliche Profiarbeit.

Wenn es also schon vom Wutbürger und den Wut-Eltern die Rede war, dann muss man wohl auch vom Wut-Lehrer sprechen. Das sind Lehrer, die rot sehen, weil so viel ihrer kostbaren Arbeitszeit vom Kampf an Nebenschauplätzen vereinnahmt wird anstatt sich dem Wesentlichen widmen zu können.