In den USA hinterfragt seit kurzem eine neue, Aufsehen erregende Buchpublikation, das amerikanischen Bildungssystem. Die Rede ist von dem Buch „The ADHD Explosion: Myths, Medication, Money, and Today’s Push for Performance“ von zwei Professoren der Universität Berkley, dem Psychologen Stephen Hinshaw und dem Gesundheitsökonomen Richard M. Scheffler. Die beiden Autoren erstellen hier auf Basis empirischer Daten einen Zusammenhang zwischen der Häufigkeit von ADHS-Diagnosen und den standardisierten Tests, die Schüler in den verschiedenen Bundesstaaten zu bestehen haben.

Hierzu muss man wissen: Seit dem 2002 durch die Bush-Regierung verabschiedeten „No Child Left Behind Act“ (wörtlich „Kein Kind bleibt zurück“) kommt jenen amerikanischen Schulen besondere finanzielle Unterstützung zu, von denen möglichst viele Schüler bestimmte Normwerte in den national standardisierten Tests erreichen. Im Umkehrschluss: In Amerika ist ein Zwangsrennen um die Performance in flächendeckenden Tests entbrannt. Wer diese Standards aus den verschiedensten Gründen nicht erfüllt, bekommt finanzielle Sanktionen zu spüren. Zu Recht sind amerikanische Lehrergewerkschaften entrüstet und kämpfen seit Jahren für die Revision dieser exzessiven Test-Kultur. Die Klage: Das permanente Pauken für staatlich verordnete Tests degradiert den Unterricht zur Lern-Mühle und hält die Lehrkräfte von ihrer eigentlichen pädagogischen Arbeit mit den Schülern ab.

Das Fazit aus der neu veröffentlichten Studie von Hinshaw und Scheffler macht einmal mehr darauf aufmerksam, wie sehr die Diagnose von ADHS durch systemische Zusammenhänge beeinflusst wird. So ist gerade in den amerikanischen Staaten, die für ihre Schulen besonders harte Sanktionen bei Nicht-Bestehen ihrer Schüler angesetzt haben, ein drastischer Anstieg an ausgestellten ADHS-Diagnosen in den letzten Jahren erkennbar.


Woran liegt dies? Macht übersteigerter Testdruck die Schüler hyperaktiv? Wachsen die Schüler in Kentucky unter schlechteren Bedingungen auf als die in Nevada?

Traut man den Autoren, so präsentiert sich der tatsächliche Zusammenhang ernüchternd: Im Endeffekt ist es für die Schulen, die ihre Finanzierung sichern müssen, aus dreierlei Gründen von Interesse, dass betreffende Schüler offizielle ADHS-Diagnosen erhalten.

– Zum Einen können die Schüler, die tatsächlich unter einer Aufmerksamkeitsdefizit-Symptomatik leiden, eine entsprechende Behandlung bekommen und erzielen somit in der Regel bessere Test-Resultate.
– Des Weiteren können ganze Klassen leistungsmäßig davon profitieren, wenn hyperaktive Schüler mit störendem Verhalten durch entsprechende Behandlungen ruhigeres Verhalten annehmen.
– Schlussendlich werden in vielen Regionen die Testresultate von ADHS-Schülern schlichtweg nicht gewertet, so dass sich der Ergebnisspiegel der Schule entsprechend aufwertet.

Auch wenn die Studie letztendlich nur Korrelationen aufzeigen kann, so mahnen die Autoren an, wie schwammig sich die Diagnostik der Zeitgeist-Krankheit ADHS heutzutage präsentiert. So spiele ökonomischer und sozialer Druck eine große Rolle, wenn der Kinderarzt den Rezeptblock zückt:

„…it demonstrates how important it is to start looking seriously at economic and social pressures that might be shaping this wave of diagnoses, influencing what happens when a parent and child are sitting in the pediatrician’s office, where most ADHD medications are prescribed. It doesn’t mean that ADHD isn’t a real thing, with a biological basis. Hinshaw and Scheffler are very clear about that. But it does underscore our worry that misdiagnoses are being handed out by doctors with little time, little training in psychiatric disorders, and a lot of pressure to do something to help kids who are failing.“
http://www.salon.com/2014/03/01/the_truth_about_adhd_over_diagnosis_linked_to_cause_championed_by_michelle_rhee/